Goethe
Wer reitet so spät durch Nacht
und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt
ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so
bang dein Gesicht? -
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? -
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -
»Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte
Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.«
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? -
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. -
»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen
und tanzen und singen dich ein.«
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen
die alten Weiden
so grau. -
»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.«
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! -
Dem
Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
Aufgaben:
1.
Dies ist eine Ballade. Eine Ballade ist ein
Gedicht, in dem eine Geschichte erzählt wird. Erzählen Sie die Geschichte.
2.
Wovor hat der Sohn Angst?
3.
Wie versucht der Vater seinen Sohn zu
beruhigen?
4.
Der Vater erklärt dem Sohn, was er eigentlich
sieht und hört, und seine Erklärungen sind vernünftig. Was im Gedicht deutet
aber darauf hin, dass die Erklärungen nicht richtig sind?
5.
Im 18. Jahrhundert hatte man die Zeit der
Aufklärung. Man glaubte an die Vernunft, durch Vernunft könnte man alle
Probleme lösen. Hat das Gedicht etwas mit diesen Ideen zu tun?
6.
Haben Sie selbst Angst im Dunkeln gehabt?
Erzählen Sie davon.